Keine Steuerhinterziehung durch Unterlassen bei Kenntnis der Finanzbehörden

Das Problem

Wer Steuererklärungen nicht oder verspätet abgibt, verhindert, dass das Finanzamt Kenntnis von den steuerlich erheblichen Tatsachen erhält, die es zur rechtzeitigen und vollständigen Festsetzung der Steuer benötigt. Der Steuerpflichtige verletzt seine Mitwirkungs- und Erklärungspflichten und beeinträchtigt das staatliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Steueraufkommen. Umstritten und bislang ungeklärt war, ob eine Steuerhinterziehung auch dann vorliegt, wenn das Finanzamt ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen Kenntnis von den relevanten Besteuerungsgrundlagen hat und die Steuer in zutreffender Höhe festsetzt.

Die Rechtslage

Gemäß § 162 AO darf das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen (steuerlich) schätzen, wenn sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Trotz der Schätzung kann eine Straftat vorliegen, wenn der Steuerpflichtige vorsätzlich keine Steuererklärungen abgegeben hat. Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO macht sich strafbar, wer die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt.

Die Entscheidung

In einem Urteil vom 31.01.2017 (III-1 RVs 253/16, NZWiSt 2017, 317) das OLG Köln zu den Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen bei Kenntnis der Finanzbehörde Stellung. Das OLG Köln stellt klar:

  • Kennt die Finanzbehörde die wesentlichen steuerlich relevanten Umstände, scheidet eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus. Bereits der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist hierdurch ausgeschlossen.
  • Bekannt sind die steuerliche relevanten Umstände, die sich aus den Steuerakten zum konkreten Steuerfall ergeben oder dem zuständigen Bearbeiter sonst bekannt sind. Dazu zählt auch die Kenntnis, die der Bearbeiter aufgrund seiner jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit auf elektronische Register hat.
  • Diese Rechtsprechung ist nicht auf Fälle einer aktiven Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) zu übertragen, weil es dort nicht auf die Kenntnis ankommt. Das Hervorrufen einer täuschungsbedingten Fehlvorstellung wie beim Betrug (§ 263 StGB) ist nicht erforderlich.

Mit der Entscheidung wurde die umstrittene Rechtsfrage erstmals durch ein Obergericht geklärt.

Fazit

Die Entscheidung grenzt beide Tathandlungsalternativen der Steuerhinterziehung voneinander ab: Eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun führt auch bei Kenntnis der Finanzbehörde weiterhin zur Strafbarkeit. Dies hat der BGH schon früher entschieden (BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, NStZ 2013, 411). Bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen entfällt indes die Strafbarkeit. Angesichts des automatischen Informationsaustausch und der zunehmenden elektronischen Datenübermittlung im Zuge der Reform des Besteuerungsverfahrens könnte die Entscheidung des OLG Köln zukünftig noch von erheblicher Bedeutung sein. Aus unserer Sicht sind die darin aufgestellten Rechtsgrundsätze grundsätzlich auch auf Fälle von Dauer-Betriebsprüfungen übertragbar, bei denen Steuererklärungen nicht oder nach Veranlagungsschluss abgegeben werden.