Schätzungen im Strafverfahren ggf. auf Mindestschuldumfang zu begrenzen

Das Problem

In der Praxis werden die (steuerlichen) Schätzungen der Betriebs- oder Fahndungsprüfung häufig undifferenziert im Strafverfahren übernommen und zur Grundlage einer verfahrensbeendenden Maßnahme oder gerichtlichen Entscheidung gemacht. Dabei wird oft übersehen, dass in Straf- und Besteuerungsverfahren unterschiedliche Verfahrensgrundsätze gelten.

Die Rechtslage

Gemäß § 162 AO darf das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen (steuerlich) schätzen, wenn sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dies ist meist bei einer Verletzung von Buchführungspflichten der Fall (§ 158 AO). Im Strafverfahren gilt diese Vorschrift nicht. Dort muss der Nachweis eines hinreichenden Tatverdachts erbracht werden (§§ 152 Abs. 2, 160, 170 StPO) bzw. zur Überzeugung des Gerichts feststehen (§ 261 StPO). Dieser schließt als wesentliches Strafzumessungskriterium insbesondere die Höhe der verkürzten Steuer ein. Maßstab ist jedoch die individuelle Schuld des Täters. Schätzung sind zwar auch im Strafverfahren zulässig. Sie unterliegen aber strengeren Anforderungen als im Steuerverfahren.

Die Entscheidung

In einem Beschluss vom 06.04.2016 (1 StR 523/15, NZWiSt 2016, 354) nimmt der BGH zu den Voraussetzungen einer Schätzung im Steuerstrafverfahren Stellung. Der BGH stellt klar:

  • Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist auch im Strafverfahren zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die für die Besteuerung relevanten tatsächlichen Verhältnisse aber ungewiss sind (st. Rspr.).
  • Das Gericht darf die Schätzung des Finanzamts nicht einfach übernehmen, sondern muss nachvollziehbar darlegen, wie es zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist.
  • Die Schätzung muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.
  • Anders als das Steuerverfahren, kennt das Strafverfahren bei Verletzung von Mitwirkungspflichten keine Beweiserleichterung zulasten des Steuerpflichtigen. Reine Sicherheitszuschläge sind daher unzulässig.
  • Zweifel – und das ist der wesentlichen Unterschied zum Besteuerungsverfahren – müssen sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Gegebenenfalls muss das Gericht die Schätzung auf den Mindestschuldumfang begrenzen.

Die Entscheidung führt die bisherige Rechtsprechung fort und präzisiert sie.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass Steuer- und Strafverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können und müssen, soweit die individuelle Schuld des Steuerpflichtigen nicht zweifelsfrei feststeht. (In Praxis muss allerdings immer wieder mit Nachdruck darauf hingewiesen werden). Dies ist u.a. auch beim Abschluss einer Tatsächlichen Verständigung im Besteuerungsverfahren zu beachten.